Schlauer dank Corona?

„Hätte mir an Sylvester jemand gesagt, dass wir 2020 in den Klauen eines global verbreiteten Virus stecken würden, hätte ich das nicht geglaubt“, schrieb mit neulich eine Freundin aus London, die derzeit ihr Haus so gut wie nicht verlässt. Und trotzdem meint sie: „Wir stellen fest, dass in dieser Krise unser Leben ruhiger und weniger stressig ist, dass wir es aber auch bewusster leben, besonders in der Familie.“

Jede und jeder von uns hat etwas zu erzählen in diesen merkwürdigen Zeiten, wobei das mit der „Ruhe“ davon abhängt, wo eine Person arbeitet, ob sie neben oder statt der Arbeit Kinder bespaßen oder beschulen muss, ob sie im Altenheim, im Krankenhaus, in der Arztpraxis, der Apotheke oder an der Supermarktkasse ständig Kontakt mit anderen Menschen hat, ob sie womöglich vor lauter Arbeit nicht mehr weiß, wo ihr der Kopf steht. Natürlich betrifft das auch Männer, da aber deutlich mehr Frauen in den schlecht bezahlten „Menschen-“Berufen beschäftigt sind und nun auch zu Hause wieder mehr Betreuungs- und Pflegeaufgaben übernehmen, ist hier die weibliche Form durchaus angebracht.

Erste Lektionen aus der Coronakrise stecken schon in diesem ersten Absatz: Ach so, so genannte „systemrelevante Berufe“ sind doch tatsächlich schlechter bezahlt als Berufe, in denen sich Menschen bequem ins „Home Office“ zurückziehen können. Frauen sind noch lange nicht gleichberechtigt, sonst würden sie in der Krise nicht die doppelte Last tragen. Wer in „systemrelevanten Berufen“ schlecht bezahlt wird, hat auch noch ein höheres Erkrankungsrisiko, und das sind neben dem medizinischen Personal und den Supermarktangestellten auch Busfahrerinnen und Müllwerker, Polizistinnen und viele andere mehr.

Die Krise wird uns noch eine Weile begleiten, und so wollen wir von der Creglinger SPD die Entwicklungen beobachten und festhalten, was sich spätestens dann dringend ändern sollte, wenn wir uns nicht mehr vor Ansteckung fürchten müssen. Wann das sein wird, weiß niemand, eine Impfung wird es voraussichtlich nicht vor dem nächsten Frühjahr geben.

Dies ist daher der Beginn einer Reihe von Beiträgen, die sich unter dem Blickwinkel der SPD-Werte Fairness, Solidarität und Gerechtigkeit damit befasst, was diese Krise über unseren Lebensstil, die Prioritäten unserer Gesellschaft und die Chancen für die Zukunft aussagt. Was können wir als Gesellschaft in Deutschland, aber auch weltweit aus der Krise lernen?

Die Themen werden uns nicht so schnell ausgehen: Wie können die angeblich systemrelevanten Berufe langfristig aufgewertet werden, damit vor allem Frauen in diesen Berufen ein anständiges Auskommen und eine ausreichende Rente erwirtschaften können? War die Globalisierung der Landwirtschaft, die unter anderem der Deutsche Bauernverband als Lobbyvereinigung in Brüssel, Berlin und den Bundesländern jahrzehntelang vorantrieb, nicht eindeutig der falsche Weg, ist es nicht höchste Zeit für eine auf den regionalen Markt orientierte Landwirtschaft, die Böden schont, Tiere im bäuerlichen Maßstab züchtet und mästet, und im Betrieb und dank kürzerer Transportwege das Klima schont? Experten warnen ja schon länger, dass ein Virus wie der aktuelle durchaus auch in der intensiven Landwirtschaft, vor allem in den industriellen Tierbetrieben entstehen könnte.

Wie machen wir unser Schulsystem samt Digitalausstattung und Lehrerwissen fit für die Zukunft? Wie schaffen wir es, unsere Digitalstruktur so auszubauen, dass auch „an der letzten Milchkanne“ ein wirklich guter und zukunftsfester Internetempfang zur Verfügung steht?

Ist körperlich anstrengende Arbeit wie in der Ernte und im Schlachthof wirklich minderwertige Arbeit, und muss sie zwingend so schlecht bezahlt werden? Warum zählen zu den reichsten Familien in Deutschland solche, die Handelsketten besitzen, und wie können Landwirte und Verbraucher*innen ihre Marktmacht beschneiden?

Warum scheint ein Konjunkturprogramm für die Autoindustrie alternativlos (830 000 Beschäftigte), während die Tourismusbranche mit Tausenden Pleiten schauen muss, wie sie zurechtkommt (2,9 Millionen Beschäftigte)? Müssen die reicheren 60 Prozent der Deutschen ihr Geld wirklich für mehrere Auslandsurlaube im Jahr samt Flug und Kreuzfahrt ausgeben? Würden anstelle der vielen stressigen Kurztrips ein Waldspaziergang und ein schöner Restaurantbesuch vor Ort nicht viel mehr Ruhe und Erholung ins Leben bringen?

Ist die Coronakrise nicht ein unschlagbares Argument für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens? Warum reagiert unser Staat nicht auf Warnungen, wie sie das Robert-Koch-Institut schon vor Jahren vor einem Coronavirus ausgesprochen hat? Warum müssen Krankenhäuser schwarze Zahlen schreiben, und wo sollen dann die Notstrukturen (Notbetten, Beatmungsgeräte usw.) eigentlich herkommen?

Warum schenken einige Leute Verschwörungstheorien im Netz mehr Glauben als der Wissenschaft, die sich seit Jahren, Jahrzehnten mit dem Thema befasst? Warum lässt sich manch ein auf den ersten Blick vernünftiger Zeitgenosse gegen Sündenböcke aufhetzen, die das Virus angeblich gestreut haben („Fremde“, „Chinesen“, „Amerikaner“, „Juden“, „Muslime“)? Warum gehen ausgerechnet „starke“ Männer wie Donald Trump, Wladimir Putin und Jair Bolsonaro dermaßen unqualifiziert mit dieser Krise um?

Das sind nur einige der unzähligen Fragen, die diese ungewöhnliche Zeit aufwirft, und natürlich stellt sie nur, wer bereit ist, für die nächsten Generationen die nötigen Änderungen anzuschieben. Wir von der SPD sind der Überzeugung, dass sich unsere deutsche Gesellschaft den Zukunftsfragen dieser Welt mutig und offen stellen muss. Gigantische Aufgaben wie die Bekämpfung des Klimawandels oder eines unsichtbaren und hoch ansteckenden Erregers erfordern neue Denkansätze, und die Gesellschaft wie auch wir als einzelne Bürgerinnen und Bürger müssen bereit sein, gewohnte Verhaltensweisen zu ändern, wenn wir möchten, dass unsere Kinder und Enkel auf dieser Erde noch eine Chance haben.

Deshalb: Schauen Sie in den nächsten Wochen und Monaten immer mal wieder auf unserer Website vorbei, und geben Sie uns Rückmeldung, was Ihnen wichtig ist und welche Schlüsse Sie persönlich und politisch aus der Krise ziehen.

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